Commons

Dieser Text entstand anlässlich der Alternativ-Uni Jena im Juli 2008 in der Zukunftswerkstatt Jena.


Gliederung dieses Textes


Was sind Commons? 

Das englische Wort "common" betont als Eigenschaftswort das Gemeinsame bzw. das Alltäglich-Gebräuchliche. Als Substantiv bezieht sich "commons"[1] auf eine - für Mitglieder einer bestimmten Gemeinschaft - frei verfügbare Ressource. Es lässt sich wohl am besten mit dem Begriff "Gemeingut" übersetzen. Ein sehr schönes Synonym ist auch "Allmende".

Historisch kennen wir die Allmende vor allem als gemeinschaftlich genutzte landwirtschaftliche oder auch forstliche Flächen, die es auch heute noch in der einen oder anderen Gemeinde gibt. Insbesondere in den letzten Jahrzehnten wurden sie jedoch durch kapitalistische Inbesitznahme weltweit dramatisch reduziert.

Andererseits entstehen aber auch neue Commons. Nicht alles lässt sich so einfach "einhegen" und "in Besitz nehmen" wie Land oder stoffliche Dinge. Im Bereich der Software entstand zuerst eine Praxis, bei denen Menschen die entstandenen Ergebnisse ihrer (Programmier-)Arbeit nicht mehr in Form einer Ware tauschten, sondern vermittels eines Netzwerkes des Gebens und Nehmens im globalen Maßstab durchaus sehr komplexe (Software-)Produkte entwickelten. Bereiche der Kunst und Kultur, die ebenfalls mit digitalen Medien arbeiten, zogen nach. Neben "Freier Software" wurde "Freie Kultur" ein Begriff und eine Praxis, die sich widerständig zeigte gegenüber der kapitalistischen In-Wert-Setzung.

Während der Weltkapitalismus durch internationale Vereinbarungen fast alle Länder dazu zwang, ihre Produkte und sogar Naturschätze der Ausbeutung zu überlassen und sich andererseits der Widerstand dagegen - vor allem seit den Protesten von Seattle 1999 - formierte, entstand parallel dazu eine Gegenwelt, deren gemeinsamer Nenner es ist, Commons zu erzeugen und einzufordern. Die marxistische Eigentumsfrage wird in ganz neuer Form gestellt.

In der digitalen Welt, wo identische Kopien ohne großen Aufwand erzeugt werden können, wurde recht bald die neue Praxis eingeführt, Produkte ohne Tausch, Geld und Kapital zu erzeugen, zu nutzen und anderen einfach zur Verfügung zu stellen. Bald entwickelte sich der Drang, dieses Prinzip auch in die materielle, in die "Hardwarewelt" auszuweiten. Während Projekte wie externer Link "Oekonux" seit ca. 1999 darüber debattierten, entwickelten sich durch ähnliche Impulse viele ökologische und soziale Bewegungen, die bis dahin sehr oft als sogenannte "Ein-Punkt-Themen" nebeneinander her agierten.

Nick Dyer-Witheford[2] sieht den gemeinsamen Nenner der aktuellen Entwicklung in den Commons: Es geht um ökologische Commons (wie Wasser, Atmosphäre, Fischgründe und Wälder), um soziale Commons (wie öffentliche Wohlfahrt, Gesundheit, Erziehung usw.) und Vernetzungs-Commons (die den Zugang zu Kommunikationsmitteln ermöglichen).

"Im sozialen Bereich strukturiert sich die Debatte rund um zwei aktuelle Dynamiken: verschiedene Projekte solidarischer Ökonomie einerseits (insbesondere in Lateinamerika) und die Grundeinkommens-/Grundsicherungsdebatten andererseits (in den Ländern des Nordens, aber auch in Brasilien und Südafrika). In den digitalen Netzwerken treten mit FOSS und Creative Commons neue Produktions- und Geschäftsmodelle ihren Siegeszug an. Aber auch Bürgerkanäle und Bürgerjournalismus breiten sich aus."[3] 

Der Umgang mit diesen Commons ist nicht völlig regellos und rechtsfrei, sondern unterliegt Regelungen, die sich die Nutzungsgemeinschaft selbstbestimmt und jeweils lokal gibt[4] . Vom Eigentum im engeren Sinne unterscheidet sich das "Miteigentum" (bzw. "Kollektive Eigentum" oder auch "Besitz", "Mitbesitz") durch das Nicht-Veräußerungsrecht. Entscheidend ist, dass die Regeln absichern, "dass die Verfügungshoheit dieser und künftiger Generationen über ihr kollektives Erbe erhalten bleibt."[5] 

Außer den lokalen Regelungen sind angesichts solch massiver globaler Probleme wie des Klimawandels auch globale Regulierungen unerlässlich. Dabei wird es immer offensichtlicher, dass die herrschenden wirtschaftlichen und politischen Strukturen dies nicht ermöglichen. Letztlich entstehen die Praxis und auch die Debatten rund um die Commons aus einem offensichtlichen "Marktversagen".

Die Orientierung auf den Umgang mit Commons soll auch den Riss zwischen jenen, die bisher strikt gegen staatliche Planung auftraten und jenen, die auf Planung setzten, kitten. Denn Commons-Projekte sind Planungsprojekte - aber die Planung erfolgt auf pluralistische und nicht auf zentralistische Weise.


Die aktuelle Bedeutung der Commons 

1 Die erste Phase der Privatisierung der Commons 

Im Verlauf der historischen Entwicklung wurden die natürlichen Ressourcen in Europa bereits vor einigen Jahrhunderten privatisiert[6] , in anderen Regionen der Erde findet sie nach wie vor statt[7] . Aus marxistischer Sicht war und ist die Trennung der arbeitenden Menschen von ihren Lebens- und Arbeitsgrundlagen (damit sind sowohl die natürlichen Ressourcen wie auch die von Menschen erzeugten Produktionsmittel gemeint, da ja Menschen ihre eigenen Lebensbedingungen selbst erzeugen), die wesentliche historische Bedingung für die Entstehung und Reproduktion des Kapitalismus als herrschendes gesellschaftliches Verhältnis.

Nicht mehr kollektiv arbeitende Menschen verfügen nicht mehr selbst über ihre Arbeitsbedingungen, sondern diese werden "eingehegt" und einer eigenständigen Verfügungs- und Eigentumsgewalt unterstellt. In dieser den Arbeitenden entzogenen privatisierten Form werden die Arbeitsgrundlagen einem neuen Zweck, einer neuen Funktion unterstellt: Der Vermehrung des Kapitals in Form von Profit auf der Grundlage der Aneignung des Mehrprodukts durch die Eigentümer der Arbeitsbedingungen.

Die Arbeitenden können ihr Leben nicht mehr außerhalb der Unterwerfung unter diese Verhältnisse reproduzieren. Es haben sich gesellschaftliche Verhältnisse entwickelt, die durch die Vereinzelung der Produzenten und deren indirekter marktförmiger Vergesellschaftung gekennzeichnet sind. Diese Verhältnisse reproduzieren sich nun auf ihrer eigenen Grundlage, weil jeder Produktionsprozess ausgeht und bestimmt ist vom Selbstverwertungsprozess des Kapitals. Sie sind zur unhintergehbaren Existenz- und Reproduktionsbedingung der Individuen geworden. Dabei erscheinen sie juristisch als spezifische Eigentumsverhältnisse, als Privateigentum an Produktionsmitteln.

2 Die zweite Phase der Privatisierung der Commons 

Gegenwärtig stößt die Kapitalverwertung an Grenzen, die durch die Globalisierung gesetzt sind: Mehr als unsere Erde steht (momentan) nicht zur Verfügung. Neue Bereiche der Kapitalverwertung müssen also erschlossen werden. So werden also immer weitere Bereiche des menschlichen Lebens kapitalistischen Verwertungsbedingungen unterworfen. Das Gesundheitswesen wird privatisiert bis hin zur "gewerblichen Hilfe zum Selbstmord" (Juli 2008).

Konzerne beginnen, den Genpool von Pflanzen und Tieren zu ermitteln und zu patentieren, um später eventuell daraus abgeleitete Wirkstoffe vermarkten zu können. Es geht letztlich um die Inwertsetzung der biologischen Vielfalt, woraus sich eine Life Science Industry entwickelt, welche biologische Vielfalt als produktive Reserve betrachtet, die "sich selbst bezahlt"[8] .

Selbst die Atmosphäre unseres Planeten wird privatisiert, in dem, beispielsweise mit Hilfe der CO2-Verschmutzungs-Zertifikate eine marktwirtschaftliche Verrechnung von Naturerhalt als "Umweltdienstleistung" betrachtet wird.[9] 

3 Versuch der Privatisierung der "Wissensallmende" 

Es war schon immer ein Bestandteil des kapitalistischen Reproduktionsprozesses, dass auch das Wissen und die Fähigkeiten der arbeitenden Menschen, nicht nur ihre Muskelkraft, die Quelle des als Mehrwert privat angeeigneten Mehrprodukts waren. Die Sphäre der Wissenschaft blieb davon lange Zeit scheinbar unberührt. Heute jedoch ist Wissen ein Bestandteil der Kapitalreproduktion, dessen Bedeutung immer mehr zunimmt. Deshalb wird auch die Verfügbarkeit von Wissen, bzw. von Information, zur Ware.

Dafür wurde beispielsweise das sogenannte "Digital Rights Management" (DRM) entwickelt, wo für digitale Informationen genau festgelegt werden kann, wer wie oft gegen Bezahlung diese Information abrufen darf. Nicht zu Unrecht wird deshalb die Abkürzung DRM oftmals auch als "Digital Restrictions Management" übersetzt.

Jedoch gibt es an dieser Stelle eine mächtige und erfolgreiche Gegenbewegung: die Creative Commons und die gesamte Freie Software Bewegung. Das populärste Beispiel für eine solche Wissensallmende ist sicherlich das Online-Lexikon Wikipedia. Es ist dieses inzwischen das weltweit mit Abstand größte und umfassendste, in den meisten Sprachen vorliegende Nachschlagewerk der Welt. So mächtig, dass beispielsweise die Britannica ihr Wissen online ebenfalls kostenlos zur Verfügung stellen muss. Der Leiter hat anlässlich dieser Entscheidung, den online-Zugriff kostenlos zu ermöglichen, sinngemäß geäußert: "entweder kostenlos oder bedeutungslos".

Insbesondere auf dem Gebiet der Kunst und Kultur hat sich weltweit, gestützt auf die Möglichkeiten des Web2.0, eine Commons-Kultur herausgebildet, bei der Musik, Videos, Bilder u. v. m. nicht als Ware, sondern als frei verfügbare künstlerische Leistung verfügbar sind. Der gesamte Bereich der freien Software ist hier zu nennen, dessen Entwick-lungspotenzial noch gar nicht in vollem Umfang erfasst werden kann.


Das Elend mit der "Tragik der Allmende" 

Während in der neueren Zeit eher das Ende des Realsozialismus als Argument herhalten muss, dass kapitalistisches privates Eigentum und entsprechende gesellschaftliche Verhältnisse besser für die Menschen seien als gesellschaftliches Eigentum (vor allem als staatliches), war es in den früheren Jahrzehnten ein anderes Argument, was gegen Enteignungen des Privateigentums angeführt wurde: Die Geschichte von der "Tragik der Allmende".

Bekannt wurde diese Geschichte durch einen Aufsatz von Garrett Hardin in der Zeitschrift Science von 1968[10] . Hardin sah das beschleunigte Wachstum der Bevölkerung als große Gefahr und stellte sich deshalb die Frage, wie die Menschheit mit diesem Problem umgehen kann.

In diesem Zusammenhang verwies er auf folgende Situation: Wenn eine Weide offen für alle zur Verfügung steht, wird jeder Hirt versuchen, so viele der eigenen Kühe darauf weiden zu lassen wie möglich. Wenn das immer mehr Hirten mit immer mehr Kühen tun, so wird die Tragfähigkeit der Weide überschritten und die "Tragik der Allmende" beginnt.

Das Privateigentum ist laut Hardin erfunden worden, um dieses Problem zu lösen. Für das Problem der Luftverschmutzung beispielsweise, bei dem Hardin auch die "Tragik der Allmende" am Werk sieht, müssen also andere Mittel, wie Gesetze und Steuern - auf jeden Fall Formen gegenseitigen Zwangs, gefunden werden. Da die "Freiheit der Allmende allen den Ruin bringt", bedauert es Harding, dass die Eingrenzung der Ackerbauflächen, Weiden, Jagd- und Fischgebiete weltweit "noch nicht vollständig" sei. Grundsätzlich sieht er nur zwei Lösungen für die "Tragik der Allmende": Entweder private Unternehmen oder Sozialismus mit einer Kontrolle durch die Regierung[11] .

Wie Feeny u. a.[12]  zeigten, wurde diese Argumentation zu Allmenden in den USA in den folgenden Jahrzehnten verwendet, um politische Veränderungen zu begründen, die schon in Richtung des Neoliberalismus verwiesen. Gründliche Untersuchungen (z. B. Feeny u. a.) weisen jedoch darauf hin, dass keine der möglichen Rechtsformen allein eine im Sinne der ökologischen Nachhaltigkeit erfolgreiche Ressourcenbewirtschaftung absichert, sondern dass jede Form dafür geeignet sein kann, es aber auch mit jeder Form misslingen kann. Vor allem konnte gezeigt werden, dass Gemeinschaftseigentum sehr oft zu erfolgreichen Regulationen der Nutzung von Ressourcen führen kann.[13] 

Grundsätzlich ist zu Hardins These zu vermerken, dass er die Allmende nur in ihrer "open access"-Variante betrachtet, wobei es um rivalisierende Güter geht - aber nicht beachtet, dass die Allmenden historisch zumeist in Gemeinschaftsbesitz stehen und bewirtschaftet werden[14] .


Peer-Produktion 

Die bisher genannten Commons sind natürliche Ressourcen, öffentliche Infrastruktur, digitale Güter und ähnliches. Von Nick Dyer-Witheford wird aber auch der erzeugte Reichtum der Gesellschaft genannt. Es ist daher notwendig, die Problemstellung auf die Art und Weise der Erzeugung des Reichtums auszuweiten.

Karl Marx beginnt die Analyse des Kapitalismus nicht zufällig mit der Unterscheidung von Gütern, die für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse als umfassender Reichtum erzeugt werden und den Gütern, die im Kapitalismus zum Verkauf als Waren hergestellt werden. Es geht nicht nur um eine gerechte Verteilung der irgendwie hergestellten Güter, sondern um eine grundlegende Veränderung des Produktionsmodus, der Beziehungen der Menschen in der Produktion.

Eine erste Vorstellung, wie Menschen für ihre eigenen Bedürfnisse und auch die anderer Menschen produzieren, ohne dass das Geben und Nehmen von Arbeitsleistungen und -Produkten über Kapital bzw. Geld vermittelt werden muss, können wir bei der Praxis der Herstellung und Nutzung Freier Software gewinnen.

Hier unterstützt die Tatsache, dass Software digital ohne viel Aufwand kopiert werden kann, die vielfache Nutzung hergestellter Software ohne einen Austausch gegen Geld oder andere Waren. Die Nutzung durch bestimmte Personen wird von der Beteiligung dieser Personen an der Produktion entkoppelt, obwohl natürlich "statistisch durchschnittlich" sehr wohl genügend Menschen sich an der Produktion beteiligen müssen.

Über eine Verallgemeinerung dieser geldlosen, sich selbst organisierenden und koordinierenden Praxis in die materiell-stoffliche Produktion hinein wird schon lange nachgedacht[15] . Es entsteht die Vorstellung einer Produktionsweise, die sich grundlegend von der kapitalistisch-marktwirtschaftlichen wie auch von der geplanten sozialistischen Wirtschaft unterscheidet - Yochai Benkler nannte diese Produktionsweise "Peer-Produktion"[16] . Die Bezeichnung "Peer" ist bekannt aus der Kombination "peer-to-peer", was die Beziehungen unter gleichrangigen Individuen bezeichnet.

International wird die Vorstellung der Peer-Produktion vor allem durch die "P2P-Foundation" verbreitet, wobei "P2P" für "Peer to Peer" steht. Michel Bouwens betont eine der wichtigsten Voraussetzungen, nämlich neu entwickelte technologische Möglichkeiten, die eine arbeitsteilige, sich selbst organisierende Produktion in verteilten Netzen ermöglichen, ohne das Kapital in seiner Vermittlungsrolle oder einen reziproken Austausch zu benötigen[17] .

Die Produktivität dieser Produktionsweise kann schon deshalb höher sein als die des Kapitalismus, weil auch andere als die Geldverdien-Bedürfnisse produktiv werden können. Mit dieser neuen Produktionsweise sind auch neue Eigentums- und politische Regelungsmechanismen verbunden. Allerdings beschränkt Bouwens die Peer-Ökonomie auf den Bereich der nicht-rivalisierenden Güter, die ohne Verlust geteilt werden können.

Ein konkretes Modell, wie eine solche Peer-Produktion auch für die materiell-stoffliche Produktion organisiert werden kann, ohne dass eine zentral geplante oder kapitalförmige Vermittlung ins Spiel kommt, erarbeitete beispielsweise Christian Siefkes[18] .

Dabei werden nicht zuerst die Güter erzeugt (private Produktion) und dann auf einen Markt gebracht (gesellschaftliche Vermittlung über das Wertgesetz), sondern die gesellschaftliche Abstimmung erfolgt bereits im Bereich der Koordinierung des Aufwands. Die Motivation zur Arbeit ist nicht vermittelt über die Vorstellung "irgendwas zu jobben, um Geld zu verdienen, damit ich mit dem Geld Bedürfnisse befriedigen kann", sondern direkt durch das individuelle Bedürfnis, etwas Sinnvolles zu tun, beizutragen zur Herstellung von Produkten und diese zu nutzen. Der einzige Grund für die Beiträge ist: "Sie wollen es. Sie leisten Beiträge zu einem Projekt, um es zum Erfolg zu bringen. Intensität, Ausmaß und Dauer bestimmt jede/r selbst."[19] 

Während in der Freien-Software-Debatte noch der eigene Beitrag zur Herstellung und die Entnahme des Produktes weitgehend als völlig entkoppelt gilt, muss sich die Ausweitung dieser Praxis auf die gesamte gesellschaftliche Produktion der Tatsache stellen, dass gesellschaftlich durchschnittlich hinreichend viele Beiträge zusammen kommen müssen, um die Bedürfnisse zu befriedigen. Dies ist eine gesellschaftliche Notwendigkeit - und nun kommt es darauf an, entsprechend den gesellschaftlichen objektiven Möglichkeiten die Art und Weise der Produktion so zu organisieren, dass aus dieser gesellschaftlichen Notwendigkeit kein individueller Zwang abgeleitet, sondern eine andere Art der Kopplung von Beitrag und Entnahme verwirklicht wird.[20]  Wie das geschieht, wird in Aushandlungs- und Kooperationsprozessen erfunden und entwickelt werden - einen Vorschlag hierzu macht Christian Siefkes.


Das Universalgut-Konzept 

Die besondere Rolle, die digitale Informationsgüter als neue Commons spielen, wird vor allem dadurch erklärt, dass ihre Herstellung kaum materielle Ressourcen braucht. Die Frage ist nun, ob neue Entwicklungen, die sich hier in der Art und Weise der Produktion und Konsumtion gezeigt haben, auch für andere Produkte übertragbar sind. Dazu erarbeitete Stefan Meretz[21]  - ausgehend von einem Beitrag von Ernst Lohoff[22]  in der Zeitschrift krisis - eine Übersicht über die neuen Merkmale der sog. "Universalgüter", die sich von den sog. "Allgemeingütern" unterscheiden. Die folgende Tabelle zeigt die Unterschiede bezüglich einiger wichtiger Aspekte:

1. stoffliche Beschaffenheit:

  • stoffliche Güter: besitzen physische Gestalt, können verbraucht oder vernichtet werden (Computer, DVD ...)
  • nicht stoffliche Güter: besitzen keine physische Gestalt, brauchen aber einen physischen Träger bzw. bei Dienstleistungen einen Erbringer, um existieren zu können; werden nicht verbraucht und nur vernichtet, wenn alle physischen Träger vernichtet werden (Film, Beratung per Hotline ...)

2. Nutzungsweise

  • Ausschließbarkeit
    • ausschließbar = exklusiv: Zugriff kann unterbunden werden
    • nicht ausschließbar = inklusiv: Zugriff ist prinzipiell allen möglich
  • Rivalität :
    • rivalisierend (rival): ihre Nutzung hat Nutzungseinschränkung für andere zur Folge (das Brötchen, das ich esse, kann kein anderer mehr essen ...)
    • nicht rivalisierend (nicht rival): ihre Nutzung hat keine Nutzungseinschränkung für andere zur Folge (die Nutzung des Ohmschen Gesetzes hindert keinen anderen daran ...)

Verschiedene Güter können nun entweder ausschließbar oder nicht ausschließbar und rival oder nicht rival sein. Beispiele zeigt die folgende Tabelle:


  Ausschließbar (exklusiv) Nicht ausschließbar (inclusiv)
rival Brötchen öffentliche Straße
nicht rival Bezahlfernsehen: Decoder notwendig,
aber mein Empfang beeinträchtigt andere nicht
Nutzung des Ohmschen Gesetzes

3. Gesellschaftliche Form:

Ein Gut ist entweder eine Ware oder eine Nicht-Ware. Es geht dabei um die sozialen Beziehungen der Produzenten und Konsumenten. Waren sind dabei Güter, die nicht für den eigenen Gebrauch, sondern für den Tausch zum Zwecke des gewinnbringenden Verkaufs hergestellt werden.

4. Eigentumsformen:

Die Güter erhalten auch eine unterschiedliche rechtliche Gestalt. Zu unterscheiden sind hier vor allem Güter in Privateigentum oder in Gemeineigentum. Es entsteht nun die Frage, ob die neue Art von Gütern, die in der Praxis der freien Informations- und Kulturgüter entstanden sind, unter dem Begriff des "Allgemeinguts" zu erfassen sind. Lohoff und Meretz schlagen für diese den neuen Begriff "Universalgut" vor und unterscheiden:


Allgemeingut Universalgut
Können stofflich oder nicht stofflich sein Nicht stofflich
Sie sind im Gebrauch entweder rivalisierend (Wasser) oder nicht rivalisierend (Deich) Nicht rivalisierend
Sie sind stets nicht exklusiv in der Nutzung Sie sind nicht exklusiv, der Zugriff kann aber eingeschränkt werden

Was passiert nun aber, wenn der Zugriff eingeschränkt wird?


Allgemeingüter können nicht Waren sein. Wenn ihr Gebrauch exklusiviert wird, werden daraus Privatgüter, also Waren. Universalgüter können zum "Bezahlgut" werden, wenn der Zugriff eingeschränkt oder verhindert wird. Es sind noch Universalgüter, aber privatisierte Universalgüter.

Das Besondere der Universalgüter gegenüber den Allgemeingütern besteht also darin, dass ihre Universalität nicht durch eine gesellschaftliche, rechtliche oder technische Form aufhebbar ist, nur der Zugang kann eingeschränkt werden (oft wird das auch "künstliche Verknappung" genannt). Aufgrund dieser besonderen Eigenschaften der Universalgüter ergeben sich besondere Widersprüche innerhalb des kapitalistischen Umgangs mit ihnen. Stefan Meretz schreibt dazu: "Innerhalb der propretiären Softwareproduktion, deren Art und Weise äußerlich von der Wertform bestimmt wird, werden Produkte geschaffen, deren universaler Charakter der privaten Form widerspricht."[23] 

Es ist durchaus sinnvoll, dass neue Güter historisch gesehen einen maßgeblichen Einfluss auf den Weg der Entwicklung nehmen. Beispielsweise führte die Einführung von Bronzewerkzeugen seit dem 3. Jahrtausend v. u. Z. erst dazu, dass der Besitz an solchen Werkzeugen sozial zu einer Differenzierung und Hierarchisierung führte, die noch nicht möglich war, als jeder Mensch sich jederzeit selbst die einfachen Holzwerkzeuge herstellen konnte. Selbstverständlich führen die neuen Dinge nicht automatisch zu einer neuen Gesellschaftsform, sondern nur über die von Menschen gelebte Praxis, die Art und Weise ihrer Produktion und Konsumtion.


Commonismus? 

Die Ware ist die Keimzelle des Kapitalismus - die Commons sind die Keimzelle der Gesellschaft nach dem Kapitalismus. So beginnt eine neue Vision. Nick Dyer-Witheford nennt die nachkapitalistische Gesellschaft konsequenterweise "commonism".[24]  Damit ist dasselbe gemeint, wie beim früheren Begriff "Kommunismus", dieser wird jedoch durch die politische Praxis in den sozialistischen Ländern eher mit zentralistischer Wirtschaft und repressiver Politik identifiziert.

Im Commonismus jedenfalls werden die Güter nicht mehr produziert, um als Ware verkauft, sondern um geteilt zu werden. Das setzt voraus, dass die Produzenten nicht mehr vereinzelt für sich produzieren und das Produkt anschließend "vermarkten", sondern dass Gemeinschaften das Herstellen und das Teilen der Produkte organisieren. Die drei Sphären von Commons, die ökologische, die soziale und die digitale, wechselwirken und bestärken einander.

Die Commons-Debatte lebt vor allem davon, endlich wieder eine antikapitalistische Sichtweise und Praxis begründen zu können, ohne sich in alte Kämpfe zu verwickeln. Es besteht die Hoffnung, dass die Dynamik der Commons den Kapitalismus überwindet, sie soll sich nicht wie die früheren Alternativprojekte in Nischen festsetzen, sondern durchaus "aggressiv und expansiv"[25]  wirken.

Der Übergang erfordert dabei keine machtvolle Revolution, sondern geschieht durch das "Auskooperieren" der kapitalistischen Wirtschaft. Benötigt wird lediglich eine Absicherung dagegen, dass als Commons hergestellte Güter privat angeeignet werden. Dann können sich die verschiedenen Formen der Commons, die ökologischen, die sozialen und die digitalen gegenseitig bestärken und einen Kreislauf der Commons eröffnen.

Das "Auskooperieren" soll ohne außerökonomische Machteroberung geschehen. Es gibt heute bereits Bereiche, wo das erfolgreich praktiziert wird, wie beispielsweise die Herstellung durchaus anspruchsvoller Druckerzeugnisse am PC in kleinerer Auflage. Verschiedene Momente können hier selbstverstärkend wirken. Bereits genannt wurde der produktivitätssteigernde Effekt der nichtmonetären Bedürfnisse.

Ein anderes Moment ist die Tatsache, dass die Nutzung von Commons durch profitorientierte Unternehmen zwar erst einmal aussieht wie ein Misserfolg der Commons, letztlich aber zu ihrer Verbreitung und Stärkung beiträgt, weil beispielsweise das praktizierte und als erfolgreich erlebte kooperative Handeln der Menschen in einer Peer-Ökonomie im krassen Gegensatz zu den Konkurrenz-Anforderungen im Lohnarbeits-Job steht.


"Wenn wir unsere Commons verteidigen wollen, können wir nicht schweigend abseits stehen, wenn Staaten, die von Konzernen regiert werden, unseren Reichtum untereinander aufteilen und damit unsere Zukunft gefährden. Diese Solidarität, die notwendig ist, um unsere lebensnotwendigen Allgemeingüter zu verteidigen, geht über den bisherigen Begriff von Solidarität hinaus."[26] 

Vandana Schiva auf der medico-Konferenz "Solidarität-heute" 2008


Quelle des Fotos: Wikipedia
V. Shiva auf dem Kirchentag 2007

"Der Kommunismus nimmt keinem die Macht, sich gesellschaftliche Produkte anzueignen, er nimmt nur die Macht, sich durch diese Aneignung fremde Arbeit zu unterjochen." (K. Marx, F. Engels, Manifest MEW 4: 477)


Fußnoten und Quellen

 [1] auch in der Einzahl mit einem "s"  - [zurück]

 [2] Nick Dyer-Witheford: Commonism. externer Link www.turbulence.org.uk/commonism.html  - [zurück]

 [3] Silke Helfrich: (2007): Die Multiplikation der commons: externer Link commonsblog.wordpress.com/2007/12/29/vom-mikrokosmos-der-commons/#more-118. (18. Juni 2008)  - [zurück]

 [4] vgl. Kommentar (5.3.) von Silke Helfrich in: Stefan Meretz (2007): Peer-Ökonomie. externer Link http://www.opentheory.org/immaterial_world_11/text.phtml. (19. Juni 2008): "Eine Ressource entfaltet sich nur dann als Common, wenn es eine gemeinschaftliche Kontrolle, Verfügungsgewalt und Verantwortung für die jeweilige Ressource gibt. Das große Problem ist, in jedem Fall die Bezugsgemeinschaft zu definieren."  - [zurück]

 [5] Silke Helfrich Was sind Commons? (2007) externer Link http://commonsblog.wordpress.com/was-sind-commons/. (5. Juli 2008)  - [zurück]

 [6] James Boyle (2003): The second enclosure movement and the construction of the public domain. externer Link http://www.law.duke.edu/pd/papers/boyle.pdf.  - [zurück]

 [7] siehe Maria Mies, Vandana Shiva (1995): Ökofeminismus. Zürich: Rotpunktverlag; Vandana Shiva (1989): Das Geschlecht des Lebens. West-Berlin: Rotbuch Verlag; Claudia von Werlhof (1991): Was haben die Hühner mit dem Dollar zu tun? München: Frauenoffensive.
Zu Erfahrung der Durchsetzung der geldvermittelten Wirtschaft in der Bundesrepublik im 20. Jahrhundert siehe auch Christa Müller (1998): Von der lokalen Ökonomie zum globalisierten Dorf. Frankfurt am Main, New York: Campus.  - [zurück]

 [8] Hayden, C. (2006): NACLA Report on the Americals 39, S. 26-31.  - [zurück]

 [9] KfW (2004): Environmental Services. Payment for environmental services in German financial cooperation. Frankfurt(Main, April 2004, externer Link http://www.kfw-entwicklungsbank.de)  - [zurück]

 [10] Garrett Hardin (1968): The Tragedy of the Commons. Science, 162 (1968): 1243-1248. (Web: externer Link http://www.garretthardinsociety.org/articles/art_tragedy_of_the_commons.html).  - [zurück]

 [11] Garrett Hardin (1978): Political requirements for preserving our common heritage. In: Brokaw, H.,P. (ed.): Wildlife and America. Council on Environmental Quality. Washington D.C. S. 310-317.  - [zurück]

 [12] David Feeny, Fikret Berkes, Bonnie J. McCay Bonnie, J.M. Acheson (1990): The Tragedy of the Commons: Twenty-Two Years Later. Human Ecology, Vol. 18, Nor. 1, 1990.  - [zurück]

 [13] Feeny u.a. a.a.O., S. 10 f.  - [zurück]

 [14] Silke Helfrich: Kommentar zu Benni Bärmann: Commons? Commonism! externer Link http://www.keimform.de/2007/12/18/commons-commonism/.  - [zurück]

 [15] Vgl. externer Link http://www.oekonux.org.  - [zurück]

 [16] Yochai Benkler (2002): Coase´s Penguin, or, Linux and The Nature of the Firm. In: The Yale Law Journal. 112 (3), 369-446. Yochai Benkler (2006): The Wealth of Networks. How Social Production Transforms Market and Freedom. Yale University Press, New Haven.Connecticut.  - [zurück]

 [17] Michel Bauwens: Interview on Peer to Peer with Cosma Orsi (2008): externer Link http://blog.p2pfoundation.net/interview-on-peer-to-peer-politics-with-cosma-orsi/2008/04/10. (19. Juni 2008).  - [zurück]

 [18] Christian Siefkes (2008): Beitragen statt tauschen. Materielle Produktion nach dem Modell Freier Software. AG SPAK Bücher, Neu Ulm. externer Link http://peerconomy.org/text/peer-oekonomie.pdf. (19. Juni 2008).  - [zurück]

 [19] Stefan Meretz (2007): Peer-Ökonomie. externer Link http://www.opentheory.org/immaterial_world_11/text.phtml. (19. Juni 2008).  - [zurück]

 [20] siehe Kommentar (6.1.1.) von Stefan Meretz in Stefan Meretz (2007), a.a.O. (19. Juni 2008).  - [zurück]

 [21] Stefan Meretz (2007): Der Kampf um die Warenform. Wie Knappheit bei Universalgütern hergestellt wird. krisis Nummer 31.
(auch in externer Link http://www.trend.infopartisan.net/trd7807/t187807.html)  - [zurück]

 [22] Ernst Lohoff (2007): Der Wert des Wissens. Grundlagen einer Politischen Ökonomie des Informationskapitalismus. krisis Nummer 31. S. 13-51.  - [zurück]

 [23] Stefan Meretz: Der Kampf um die Warenform. a.a.O.  - [zurück]

 [24] Nick Dyer-Witheford: Commonism. a.a.O.  - [zurück]

 [25] Dyer-Witheford a.a.O.  - [zurück]

 [26] Vandana Shiva (2008): Wider die Angst. (medico-Konferenz "Solidarität - heute!") externer Link http://www.3welt.de/material/rundschreiben/2008/02/vandana-shiva/  - [zurück]