Utopiebaustelle 2004

Freitag, 19. November 2004

Wie an jedem Tag wurde auch heute ab 14:00 Uhr unser "open Space" angeboten. Dabei waren einzelne Personen bei uns, die ein Themenspektrum von alternativer Medizin bis zu moderner Robotertechnik, von Erkenntnistheorie bis zu Freier Software als freie und selbstbestimmt organisierte Produktionsweise diskutierten.


Gegen 16:00 Uhr verkündeten die Künstler des Theaterhauses Jena die "Utopie des Tages". Sie lautete heute:

Die Zeit spielt keine Rolle.


Zu unserer heutigen Diskussionsrunde konnten wir M. Raab vom externer Link Bildungskollektiv Arranca e. V. aus Erfurt begrüßen.

Es ging zuerst darum, dass wir uns zu einer möglichst klaren Vorstellung von dem Begriff "Arbeit" verständigten. Dazu wurden von allen Anwesenden jeweils zwei Tätigkeiten auf kleine Karten notiert, die dann gemeinsam in ein Koordinatensystem zwischen den Polen unfreiwillig - selbstbestimmt und ohne Geld - zum Gelderwerb eingeordnet wurden.

Ein Teil des Ergebnisses ist nebenstehend dargestellt.

Im Ergebnis zeigte sich, dass unter dem Alltagsbegriff "Arbeit" jeder etwas anderes versteht und der Begriff deshalb so allgemein ist, dass man ihn so nicht sinnvoll verwenden kann. Diese Methode ist unter der Adresse externer Linkhttp://baustein.dgb-bwt.de/C9/AllesArbeit.html genauer beschrieben.

So verstehen viele Menschen Arbeit als etwas "bedeutsames", was getan wird (Hausarbeit, Trauerarbeit, Traumarbeit ...) im Gegensatz zu alltäglichen Tätigkeiten, die nicht den Status der bedeutsamen "Arbeit" haben. Andere Menschen bezeichnen nur die Arbeit zum Zweck des Gelderwerbs als Arbeit und Marx versteht unter Arbeit etwas ganz anderes, nämlich die "Anpassung der Natur zur eigenen Bedürfnisbefriedigung".

Michel zeigte uns in der weiteren Diskussion, dass ein weitergehendes Verständnis der ökonomischen Zusammenhänge nötig ist, wenn man sich der Arbeitsproblematik nähern möchte. Für unsere Begrifflichkeit einigten wir uns darauf, die Erwerbsarbeit als "Arbeit" im engeren Sinne zu betrachten.

Michel zeigte uns zwei Gegenstände, eine Tasse und ein Handy als konkrete Ergebnisse von Arbeit.

Als Beweggrund, warum diese Gegenstände hergestellt wurden, kommt einmal der unmittelbare Nutzen in Betracht: Man kann daraus trinken bzw. damit telefonieren. Es gibt jedoch noch einen anderen Grund, warum diese beiden Dinge hergestellt wurden: Jemand, in diesem Fall ein Porzellanhersteller und eine große Elektrofirma, hat diese Gegenstände hergestellt um sie zu verkaufen und damit Gewinn zu erzielen.

Um etwas verkaufen zu können, muss man sich jedoch auf ein Vergleichskriterium einigen, das sozusagen als Maßstab angelegt werden kann: Wieviele Tassen entsprechen einem Handy? Dieser Vergleichsmaßstab ergibt sich aus der Menge der Arbeit, die notwendig war, um den Gegenstand herzustellen. Er wird in Form von Geld angegeben, beispielsweise dem Preis, den man für den Gegenstand bezahlen muss. Dieser Wert hat aber nun wiederum nichts mehr mit dem Gebrauchswert des jeweiligen Gegenstandes zu tun, er ist nur noch eine abstrakte Austauschkategorie.

Das Problem besteht nun darin, dass Für die Hersteller der Gegenstände das eigentliche Ziel der Produktion nicht der Gegenstand selber ist, sondern der Verkauf desselben und die Realisierung von Gewinn. Das wirkt sich konkret so aus, dass es viele Dinge gibt, die eigentlich gar keinen sinnvollen Gebrauchswert haben, die aber hergestellt werden um Gewinn zu machen. Und damit sie verkauft werden können, gibt es eine riesige Werbeindustrie, die einem einredet, dass man das brauche... Die Ware ist zu einem Fetisch verkommen.

Nun ist in unserer Gesellschaft ja inzwischen nahezu alles über Geld austauschbar, hat also einen abstrakten "Wert", sogar die Arbeitsleistung selber. Die Arbeitskraft ist damit zur Ware geworden, der Kaufpreis dafür ist der Arbeitslohn. Und genau wie mit allen anderen Waren geht es auch bei der Arbeitskraft darum, diese im Sinne der eigenen "Profitmaximierung" bestmöglich zu verwerten. Alle reden einem ein, dass es ganz wichtig ist, sich mit seiner Arbeitskraft bestmöglich zu "vermarkten". Auch die (Erwerbs-)Arbeit ist damit zu einem Fetisch verkommen.

Das alles läuft im Alltag, meist unbewusst, kommt aus allen Richtungen, erscheint völlig natürlich. Irgendwann glaubt man selber dran, dass man für alles Geld braucht, dass man deshalb arbeiten muss: Es ist halt "normal", ist allgemeine gesellschaftliche Praxis. Dass das alles ein Prozess ist, der vor vielen Jahren begann und sich nun verselbständigt hat, die Arbeit inzwischen entfremdet ist von ihrem ursprünglichen Anliegen, Gebrauchswerte zu schaffen, ist vielen Menschen nicht bewusst. Die Auswirkungen der Entfremdung, für alles Geld haben zu müssen, was man immer schwerer verdienen kann, weil es immer weniger bezahlte Arbeit gibt, weil die Arbeitsproduktivität so enorm gestiegen ist, die erleben wir alle. Auch die Tatsache, dass die Arbeitsatmosphäre immer schlimmer wird, weil durch Arbeitskraftkonkurrenz der Eine immer mehr des Anderen Feind wird, stößt uns übel auf. Ebenso, dass die Arbeit, die man bezahlt bekommt selber immer übler wird, immer unsinniger, stupider, stumpfsinniger, bemerken wir. Aber wie rauskommen aus der Situation?

Wie rauskommen - nun da gibt es kein Patentrezept. Aber eines scheint klar: In der Zukunft kann es nur so sein, dass es ohne (Erwerbs-)Arbeit, also ohne Arbeit zum Zweck des (abstrakten) Werteschaffens, zum Zweck der Gewinnmaximierung funktionieren muss. Ziel der Produktion und damit der Arbeit muss es sein, Bedürfnisse zu befriedigen, Gebrauchswerte zu schaffen.

Als Bezeichnung für diese Art der Arbeit schlug Michel den begriff "produktiven Müßiggang" vor: Vielleicht sieht das so aus, dass jeder, der das möchte, etwa zwei bis drei Stunden am Tag das tut, was er möchte und ihm Spaß macht. Bei der vorhandenen Produktivität sollte das bereits heute schon reichen, um alle Bedürfnisse zu befriedigen.

Weitere Informationen sowie eine allgemeine Linkliste stehen unter: externer Link http://www.thur.de/philo/zw/zwarbeit.htm

Weitere interessante Aspekte dieses Problemkreises spiegeln in den Prinzipien der "Neuen Arbeit" (New Work) wider, die von F. Bergmann begründet und immer weiterentwickelt werden. Weiterführende Informationen dazu sind unter folgender Adresse verfügbar:


Weiter ging es mit dem Thema "Umsonstläden" und unser Gast dazu ist Hilmar Kunath, Umsonstladen Hamburg am Sonnabend, 20. November 2004